Ich liebe diesen Moment in unserem Gottesdienst, wenn für ein paar Minuten Gewusel und Unruhe ausbricht. Stühle klackern. Man hört ein „Los, los, los!“ oder ein verärgertes „Menooo!“ oder ein Baby macht sich bemerkbar, das wegen der ganzen Aufregung anfängt, seinen Unmut in seinen Worten auszudrücken: Schreien. Noch völlig aus der Puste vom Bewegungslied höre ich, wie die Tür zu geht und ich bin mir sicher, dass die Kinder jetzt eine segensreiche Zeit erleben werden. Noch mehr bewegt mich dann aber die Freude, die ich neulich nach einem der Gottesdienste in den Gesichtern zweier Kinder sehen konnte. Lange nach dem Gottesdienst saßen sie völlig dankbar und begeistert mit einer KidzClubmitarbeiterin noch am Tisch und erzählten ihr aus dem schweren Schulalltag, während sie malten.

Welchen Part davon meint eigentlich Jesus, wenn Er sagt: „Werdet wie die Kinder und heißt sie willkommen!“? Wie kann ich mir das vorstellen, Jesus?

Diese Frage bewegt mich, weil da eine junge Generation in unserer Gemeinde am Heranwachsen ist, von der wir alle anscheinend lernen können und sogar müssen. Diese Aussage von Jesus hat die Jünger sicherlich auch tagelang beschäftigt, denn eigentlich kamen sie mit einer wichtigen Frage zu Jesus: „Wer ist der Größte im Himmelreich?“ (Mt 18,1). Die Parallelstelle in Lukas 9,46-48 zeigt, dass die Jünger darüber debattiert hatten, wer von ihnen selbst der Größte sei. Es ist so, als ob jeder der Männer fragt: „Werde ich es sein? Bin ich derjenige, der am bedeutendsten ist?“ Als die Jünger beieinanderstanden und wohl eifrig die Argumente abwogen, rief Jesus ein Kind herbei – vielleicht war es sogar eines der Kinder von einem der Jünger – und stellte es in ihre Mitte. Dann sagte Er: „Ich versichere euch: Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht ins Himmelreich kommen.“ (Mt 18,3)

Ganz praktisch wird eines durch diese Worte sofort klar: Liebe und Wertschätzung gegenüber Kindern beginnen nicht mit Äußerlichkeiten. Es ist eine Herzenssache. Kinder in unserer Gemeinschaft wirklich willkommen zu heißen, beginnt damit, selbst die Haltung eines Kindes einzunehmen. Das ist zum einen der wohl wichtigste und ganz praktische Tipp für jeden Einzelnen von uns aus der Gemeinde, zum anderen sollen wir daran unsere generelle Glaubenshaltung prüfen.

Das Alte Testament beschreibt Kinder als Erbe und Lohn des Herrn (Ps 127,3). Kinder spielten eine zentrale Rolle in Gottes Verheißungen an seinem Volk (1Mo 3,15; 12,2; 15,5). Andererseits setzten Juden ihre Kinder nicht auf den Familienthron. Im Israel des 1. Jahrhunderts gab es keine Baby-Influencer, Helikopter-Eltern und Co. Kinder waren kein Schmuckstück. Stattdessen beschreibt die jüdische Literatur der damaligen Zeit – einschließlich des Alten Testaments – Jugendliche und Kinder realistischer Weise als unreif und töricht, die konsequente Erziehung und Korrektur bedürfen. Was man also in der jüdischen Literatur nie finden würde, so bemerkt Yale Professorin Judith Gundry, „sind Kinder, die als Vorbilder für Erwachsene hingestellt werden. In diesem Umfeld war der Vergleich mit Kindern höchst beleidigend.“ Als Jesus seine Jünger darum bittet, ihren Fokus auf dieses Kind zu legen und so wie diese zu werden, hat das sicherlich schockiert.

Das würde es uns heute sicherlich auch. Wie wäre es, wenn Jesus an einen unserer Gottesdienste teilnehmen würde?Und ehe die Kinder polternd den Saal verlassen, um in den KidzClub zu gehen, nimmt Er eines von ihnen an die Hand, stellt es vor uns hin und sagt: „Werdet wie ______. (Setze gerne den Namen eines beliebigen Kindes ein!).“ Ich merke, dass mich diese Aussage in diesem Moment überfordern würde. Reife und Weisheit kommen doch mit dem Alter! Warum rückwärts gehen? Was kann ich schon von ______ lernen? Hier ist die Antwort von Jesus: „Wer sich selbst erniedrigt und wie dieses Kind wird, der ist der Größte im Himmelreich. Und wer solch ein Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf.“ (Mt 18,4-5). Jesus verlangt von seinen Jüngern aufgrund des niedrigen und demütigen Status von Kindern ihre Haltung einzunehmen. Das Kind ist ein Vorbild, und zwar nicht in Sachen Unschuld, Reinheit oder des Glaubens. Diese Attribute verknüpfen wir mit Kindern, nicht aber Jesus. Das Kind ist ein Vorbild in Sachen Demut und Unbeholfenheit. Jesus möchte, dass seine Jünger kindlich sind, weil kleine Kinder nicht vorgeben, alles schon zu wissen oder alles unter Kontrolle zu haben. Im Gegenteil, sie fragen ständig nach Hilfe und „warum?“. Jesus wollte, dass seine Jünger sehen, dass sie in ihrem Leben genauso bedürftig sind, und Er möchte, dass wir das auch verstehen.

Wie die ersten Nachfolger Jesu neigen wir noch heute zu der Annahme, dass wir gute Plätze im Reich Gottes verdient hätten. Wir glauben, wir hätten unser Leben gut im Griff, wissen das wichtigste und brauchen eigentlich für nichts wirklich Hilfe. Wenn wir Hilfe brauchen, helfen wir uns selbst. In uns schlummert die Haltung, es geschafft zu haben. Wir haben eine hohe Meinung von uns selbst. Wir würden das sicherlich nicht so laut diskutieren, wie die Jünger Jesu damals (vielleicht wäre es manchmal sogar besser, wenn wir das so ehrlich tun würden). Doch da ist diese stolze Tendenz in uns, auf die Jesus mit seinem klaren Gebot abzielt: nehme die Demut eines Kindes an. Lege dein Statusdenken ab.

Ich glaube, diese Haltung verändert so vieles: unseren Umgang mit Kindern, mit Hilfsbedürftigen, mit eigentlich jeder anderen Person, mit uns selbst. Es macht uns zu authentischen Menschen, mit denen man liebend gerne Zeit teilt, so wie man es mit Kindern tut. Und es ist die Haltung, die wir vor Gott brauchen, um seine Gnade überhaupt erfahren zu können. Hier ist das simple Rezept: bekenne deinen Stolz und deine Hilfsbedürftigkeit, und dann diene dem Nächsten – insbesondere, sagt Jesus, „den Kleinen“ (Mt 18,10). Schließlich zeigte Jesus diese Haltung Dir gegenüber, indem Er sich herabbeugte, um Dir zu dienen (Joh 13,1-17; Phil 2,1-11) – indem Er sich herabbeugte, um uns zu dienen. Jetzt sind wir aufgerufen, die Niedrigen zu lieben, ihnen zu dienen und sie willkommen zu heißen, so wie Er uns zuerst geliebt hat (1Joh 4,19).

Ich bin sehr dankbar, dass da gerade immer mehr Kinder und Babys unsere Gemeinde mit aufmischen. Es ist eine große Möglichkeit für mich von ihnen zu lernen. Vielleicht magst Du mit mir zusammen von ihnen lernen. Es geht ganz einfach: beobachte sie, rede mit ihnen, höre ihnen zu, stell sie mal in die Mitte.

Daniel Pfeifer
Daniel PfeiferGemeindereferent