Was ist eigentlich Gemeinde?

Was ist eigentlich Gemeinde? Wozu ist sie da? – eine Frage, die mich, wie viele andere auch, in den letzten 12 Monaten beschäftigt hat. Dass wir auf unsere Treffen und Gottesdienste in Präsenz verzichtet haben, hat uns in unserer Gemeinschaft herausgefordert. Wir haben uns ganz praktisch nicht mehr gesehen. Manche konnten es auch gar nicht nachvollziehen, warum die Türen unserer Mühlstraße nun über Wochen hinweg geschlossen waren, denn wir sind doch die Gemeinde Gottes und die muss gemeinsam Gottesdienst feiern. Wir haben verzichtet auf Café Insel, KidzClub, Bibelstunden, Jugendgruppe, … also das, was für viele von uns Gemeinde ausmacht – da kam auch ich automatisch zu dieser Identitätsfrage: Was ist Gemeinde nun?

In diesen Gedanken beschäftigte ich mich mit einem Bibeltext, der zwei Identitätsaussagen liefert. Es ist ein Moment in dem Jesus seine Jünger fragte: „Für wen haltet ihr mich?“ (siehe Matthäus 16,15-19). Petrus antwortete ihm rasch: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!“. Jesus sprach zu ihm: „Glücklich bist du zu preisen, (…) Du bist Petrus, und auf diesem Felsen werde ich meine Gemeinde bauen, und die Tore des Totenreiches mit seiner ganzen Macht werden sie nicht überwältigen.“ Ich glaube, dass dies eine der Prophetien ist, die mir mit am meisten Mut macht. Jedes Mal, wenn wir uns begegnen, in kleinen oder großen Gruppen oder zurzeit am Telefon, um Gottes Wort zu hören, gemeinsam zu beten und Gott anzubeten, sind wir eine Erfüllung dieser Aussage – 2000 Jahre nachdem sie ausgesprochen wurde. Dies ist außerdem das aller erste Mal, dass das Wort „Gemeinde“ in der Bibel vorkommt, versehen mit einer Vorhersage für sie. Jesus wird die Gemeinde gründen und nichts wird sich ihr entgegenstellen können, nicht einmal der Tod. Es wird sie ewig geben. Sie wird immer geöffnet haben! Auch während Pandemien. Zudem spricht Jesus dem Petrus eine Identität zu, nämlich dass dieser der Grundfelsen sein wird, auf dem Jesus seine Gemeinde bauen wird.

Was steckt in dieser Aussage? Jahrhunderte bevor der tatsächlichen Erfindung von Beton, benutzten die Menschen gewaltige Steine als Fundament für ein neues Haus. Sie nahmen Granit, Marmor oder Kalkstein aus einem Steinbruch und behauten das Material in eine große, teilweise gigantische Ziegelsteinform. Schließlich wählten sie einen einzigen Stein und machten diesen zum „Grundstein“ des Bauvorhabens. Dieser Stein diente als Ausrichtung für alle anderen Steine des Fundaments. Beim Anlegen eines jeden weiteren Ziegel wurde ganz genau darauf geachtet, ob er auf gleicher Höhe bzw. parallel zum Grundstein lag.

In einem cleveren Wortspielt verknüpfte Jesus die Namensbedeutung von Petrus („Fels“), sowie dessen Bekenntnis mit seiner Prophezeiung über die Gemeinde. Der Grundstein bzw. das Fundament für die Gemeinde würde der Glaube an Jesus Christus sein, als den gekreuzigten und wieder auferstandenen Sohn Gottes. Zweitausend Jahre später ist dieses Bekenntnis immer noch die zentrale Aussage von zig Millionen Menschen weltweit. So wie Jesus es prophezeite, das Bekenntnis von Petrus wird das Fundament und die Ausrichtung für die Geschichte des Christentums sein.

Doch etwas anderes, völlig erstaunliches und bedeutungsvolles wird mir in diesem Dialog auch klar. Etwas, was unsere deutschen Übersetzungen des originalen griechischen Wortlauts nicht ganz erfassen können. Es ist das Wort „Gemeinde“ (oder „Kirche“). Wie Du sicherlich weißt, ist das griechische Wort für „Gemeinde“ das Wort „Ekklesia“. Was Du vielleicht nicht weißt, ist, dass dieses Wort überhaupt keinen religiösen Ursprung hatte. In der damaligen Zeit wurde es für jegliche „Versammlungen“ oder „Zusammenkünfte“ von Bürgern gebraucht, die ein gemeinsames Thema, Ziel oder Auftrag eint. Ekklesia wurde beispielsweise für die Gruppe an Soldaten verwendet, die sich für den Zweck einer militärischen Mission versammelt hat. Ekklesia war eine Personengruppe, die sich in mindestens einem besonderen Grund eint und wegen diesem gemeinsam unterwegs ist. Das besondere Merkmal ist dabei, dass das Wort „Ekklesia“ niemals einen festen Ort, ein bestimmtes Gebäude oder ein bestimmtes Treffen bzw. Veranstaltung beschrieb. Die Zuhörer von Jesu verknüpften die Aussage von Jesu also ganz automatisch mit dieser Vorstellung. Wenn sie „Ekklesia“ hörten, dachten sie nicht an ein Gebäude oder eine Organisation.

Zugleich war ihnen dieses Wort aus einem anderen Kontext bekannt. Die Septuaginta, also die griechische Übersetzung des Alten Testaments, beschreibt Israel als eine „Ekklesia“. Interessanterweise wurden Juden auch dann noch als die „Ekklesia“ bezeichnet, als sie völlig verstreut über die damalig bekannte Welt lebten. Trotzdem waren sie „Ekklesia“, eine Versammlung, eine Gruppe, ein Organismus, eine Gemeinschaft – ganz ohne Treffen, Veranstaltungen oder Gottesdiensten. Dabei stellte die Verwendung von diesem Wort vor allem den gleichen Ursprung ihrer Identität in den Mittelpunkt sowie dem Zweck und Auftrag ihrer Gemeinschaft, nämlich als „heilige Menschen“ in dieser Welt zu leben.

Wenn nun Jesus dieses Wort „Ekklesia“ in seiner Prophezeiung gebraucht, mussten seine Jünger verstehen: „Ich werde eine Gemeinschaft, einen Organismus an Menschen zusammenbringen und der Grundstein, der Auftrag- und Sinngeber dieser Menschengruppe werde ICH sein.“

Was ich allerdings heute beobachte und in den letzten 12 Monaten deutlich zum Vorschein kam, ist folgendes: wir haben teilweise eine ganz andere Auffassung von der Ekklesia, von Gemeinde, als die Jünger Jesu es verstanden haben. Für uns ist Gemeinde eher eine fromme Organisation, ein fester Ort und ein Gebäude. Ein Ort, der mir Veranstaltungen bieten muss, die mich und meine Familie glücklich machen. Eine Organisation, an die ich meine Erwartungen stelle. Dies hat vielleicht auch seinen historischen Grund: Nur wenige Jahrzehnte nachdem Jesus die „Ekklesia“ beschrieben hat, bremste sich der stetige wachsende Organismus der Christen selbst aus. Die Ekklesia war nicht mehr eine wachsende Gruppe an Menschen, die in erster Linie eine Identität und ein Ziel vereinte und darauf aufbauten. Sondern sie bauten tatsächlich Steine zu Orten zusammen. Sie wurde zu einem Ort. Die Römer nannten diesen Ort „Basilika“. Ein lateinisches Wort, das schon damals ein öffentliches Gebäude oder Versammlungsort meinte. Hunderte Jahre später im gotischen Zeitalter wurde daraus schließlich im Deutschen die „Kirika“, woraus unser heutiger Begriff „Kirche“ entstammt bzw. das Englische „church“. Kirika/ Kirche heißt wortwörtlich „Haus des Herrn“ und beschrieb den festen, ritualen Ort, an dem sich Christen hauptsächlich sonntags trafen. Diese Vorstellung und Identität haben sich bis heute bei uns Christen unterbewusst festgesetzt. Wir denken bei „Gemeinde“ und „Kirche“ an einen Ort, eine Institution oder Organisation. Etwas was Jesus Christus niemals gedacht noch gegründet hat.

Die Kirche ist ein Ort. Eine Ekklesia ist aber eine Gruppe an Menschen mit einem gemeinsamen Auftrag. Die Türen einer Kirche oder Gemeinde können geschlossen werden. Die Ekklesia Jesu aber niemals.

Nun habe ich eine Einladung für Dich: entdecke mit mir zusammen ganz neu, was es bedeutet Ekklesia, Gemeinde zu sein. Was ist ihr Auftrag und Sinn? Wozu sind wir als Christen hier? Was macht Gemeinde wirklich aus? Wie können wir im Nürnberger Land 2021 das verkörpern, was Jesus gegründet hat? Was können wir als Gemeinde besser machen? Wo sind wir mehr starre Organisation, statt lebendiger Organismus? Lass uns gemeinsame dies tun in einer Themenreihe, in der Du eingeladen bist, mitzudenken, mit zu beten, mit zu diskutieren und sich auszutauschen… und dann letztlich das zu leben, wozu Jesus uns beauftragt hat.

Vielleicht schon ein Gedanke vorneweg: die Frage „Was ist die Gemeinde?“ kann ich am besten beantworten, wenn ich die Frage beantworte, die Jesus seinen Jüngern stellte: „Für wen haltet ihr mich?“. Die Identität Jesu zu verkörpern, ist letztlich der Auftrag und der Sinn der Gemeinde. Wenn wir wissen, wer Er ist, wissen wir, wozu wir hier sind.

Ich freue mich auf das gemeinsame Entdecken und Leben von Gemeinde,

Daniel Pfeifer

Gemeindereferent